Die Zukunft der Psychoanalyse hängt davon ab, inwieweit sie ein ähnliches Interesse für gesellschaftliche Fragen entwickeln kann, wie es der ersten Generation der Psychoanalytiker gelang.

(A. Mitscherlich)

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Was die Seele vom Körper hat

Irgendwo zwischen Physiologie und Psychologie sitzt das Ich. Buchvorstellung mit Kathy Reboly, Urban Zerfaß, Andreas Peglau, Ulfried Geuter und Johannes Reichmayr (v.l.) Bild MSG
Irgendwo zwischen Physiologie und Psychologie sitzt das Ich. Buchvorstellung mit Kathy Reboly, Urban Zerfaß, Andreas Peglau, Ulfried Geuter und Johannes Reichmayr (v.l.) Bild MSG

Zwei Neuerscheinungen zum Verhältnis von Physiotherapie und Psychoanalyse führten bei einer Buchvorstellung an der Sigmund Freud Privatuniversität Berlin in das körperbewegte Berlin der 1920er Jahre zurück. In der Blütezeit der Goldenen Zwanziger gingen Psychoanalyse und Gindlersche Reformgymnastik eine höchst produktive Verbindung ein, für die der Psychoanalytiker Otto Fenichel und seine Frau, die Gindler-Schülerin Cläre Nathanson, tonangebend wurden. Mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus in Deutschland endete die Geschichte der analytischen Körperpsychotherapie abrupt.


Die 1885 in Berlin geborene Gymnastiklehrerin Elsa Gindler thematisierte schon früh den Bewegungsmangel moderner Stadtmenschen und die hieran anknüpfenden gesundheitlichen Probleme. Das Ziel ihrer Arbeit lag dabei weniger darin, bestimmte Bewegungen zu erlernen, "sondern in der Erreichung von Konzentration. Nur von der Konzentration her kann ein tadelloses Funktionieren des körperlichen Apparates im Zusammenhang mit dem geistigen und seelischen Leben erreicht werden" (Gindler 1926, 1991, S. 43). Von der Psychoanalyse zeigte sich Gindler inspiriert und empfahl sie um der Selbsterfahrung wegen ihren Gymnastikschülern. (Vgl. Elke Mühlleitner, "'Junge, schöne, bewegliche Menschen' - Otto Fenichel in Berlin". In: Otto Fenichel, Psychoanalyse und Gymnastik, hg. v. Johannes Reichmayr, Gießen 2015, S. 77).


Die Verbindung von Körper und psychoanalytischer Arbeit mutet merkwürdig an, hatte Freud sein Setting doch aus gutem Grund auf das Aussprechen hin zentriert. Allein anhand des Sprachgebrauchs sollten sich Anhaltspunkte ergeben, von welchem Ort aus der Analysand spricht und auf welchen Platz er den Analytiker rückt – Adressierungen, die mit der imaginären und symbolischen Verfasstheit des Individuums verknüpft sind.


Dessen ungeachtet wird der Körper in der Psychoanalyse keinesfalls ausgeklammert; im Sprachgebrauch des Analysanden ist er fortwährend präsent, beispielsweise wenn von sexuellen Vorstellungen oder vom Sehen, Hören, Riechen, Spüren, Berühren u.s.w. die Rede ist. Bereits in Studien über Hysterie (1895), eine der Gründungsakten der Psychoanalyse, tauchen reihenweise Redewendungen mit Bezug zum Körperlichen auf. Freud interessierte sich indes vorrangig für die psychische Funktion des Körpers im Erleben des Analysanden.


„Kopfweh weg“ bekundete Otto Fenichel derweil schon nach den ersten Stunden bei der Gymnastiklehrerin Elsa Gindler. Der Berliner Psychoanalytiker, dem Leibesübungen eigentlich verhasst waren, machte den Unterricht ab Herbst 1925 zur wöchentlichen Pflicht. Vermittelt durch seine Frau Cläre Nathanson begann er, sich aus psychoanalytischer Sicht für die Wirkung von Gymnastik zu interessieren. Der Wiener Ethnopsychoanalytiker Johannes Reichmayr hat Fenichels Studie im Department of Special Collections in Los Angeles gesichtet und nun erstmals als historisches Quellenwerk herausgegeben. (Otto Fenichel Psychoanalyse und Gymnastik, Gießen 2015)

 

Zeitgleich legt Ulfried Geuters sein Lehrbuch Körperpsychotherapie (Springer 2015) vor, das zeitgeschichtlich an der Berliner Körperszene um Fenichel und Nathanson ansetzt und um Fortentwicklungen etwa durch Wilhelm Reich ergänzt. Der Band setzt sich zum Ziel, die Dychotomie von Körper und Geist zusammenzubringen, die sich zu Fenichels Zeit unegachtet erfolgreicher Konjunktionsbemühungen an einer geschlechtlichen Arbeitsteilung festhielt: Galten Frauen als Mittlerinnen des Körpers, so war den Männern die Theorie vorbehalten. Geuters Buch fokussiert darauf, das gesamte Körpererleben als Quelle des Selbstwissens zu nutzen.

 

In der von Kathy Reboly (SFU Berlin) moderierten Gesprächsrunde kam mit Urban Zerfaß auch ein Mann zu Wort, der mit seinem Buchhandel seit Jahrzehnten das Werden von PsychoanalytikerInnen in Berlin fördert und gestaltet. Nicht nur Freuds frühe Schriften, sondern auch die Werke von Karl Abraham und Otto Fenichel, erinnerte sich Zerfaß, wurden bereits in den 1980ern an seinen Büchertischen vor der Technischen Universität als Geheimtipp gehandelt. Zahlreiche Kliniker und Forscher zu psychoanalytischen Themen haben seither von den Kenntnisse des heutigen Inhabers der Fundus-Buchhandlung in Charlottenburg profitiert.


Der Berliner Psychoanalyse-Historiker Andreas Peglau rief die frühen körpertherapeutisch ausgerichteten Ansätze in der Psychotherapie von Franz Alexander und Siegfried Bernfeld ins Gedächtnis. Noch vor Fenichel und Reich stellten sie Überlegungen zu einer „Libido-Metrie“ (Bernfeld) - eine Spezialform körperlicher Energie - an. Während in Reichs Konzeption das Sprechen in den Hintergrund trat, hielt Fenichel am Primat der Psychoanalyse zur Seelenbehandlung fest. Mag eine reine Körpertherapie zwar gute Voraussetzungen für seelische Heilung bieten, stellt sich für Peglau indes die Frage, welche Verwendung die freigesetzte Energie finde? Ein Durcharbeiten von Lebensgeschichte und Unbewussten lasse sich kaum auf körperlicher Ebene einholen.

 

Für den Verlust der körpertherapeutischen Arbeitstradition mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus in Deutschland erscheint auf den ersten Blick die Emigration der wichtigsten Protagonisten aus Berlin ursächlich. Aus den Diskussionsbeiträgen des Publikums ergab sich überdies, dass die von der deutschen Psychoanalyse nach dem Zweiten Weltkrieg angestrebte berufspolitische Professionalisierung, worunter insbesondere ihre Aufnahme in das kassenärztliche Vergütungssystem verstanden wurde, zum Ausschluss körpertherapeutischer Behandlungsansätze führte.

 

Frühe psychoanalytische Berufspolitik mag auch ein Grund dafür sein, dass Fenichels Text nicht gleich nach seiner Abfassung im Jahr 1926 publiziert wurde. Die institutionalisierte Psychoanalyse war bestrebt, die Lehre Freuds als ein einheitliches Gebilde darzustellen – ohne Ausflug in andere Anwendungsfelder. Diesbezüglich teilte die analytische Körpertherapie das Schicksal der Gruppenanalyse Anfang der 1920er Jahre, die ebenso ausgegrenzt wurde. Auf formaler Ebene mag jedoch auch relevant gewesen sein, dass das 47 Seiten umfassende handschriftliche Manuskript für einen Zeitschriftenbeitrag zu lang und als Buchpublikation zu kurz geraten war.

 

Bleibt am Ende die Erkenntnis, dass Körper und Geist zwei recht unterschiedliche, dennoch kaum zu trennende Zugänge zum Menschen eröffnen. Freuds Festlegung, wonach das Ich zunächst ein körperliches sei und zeitlebens auf den Körper bezogen bleibe, fördert unterdessen ein Verständnis des Körperlichen, für das die Bedeutung des leiblichen Einheitserlebens von Körper und Seele vor dem reflexiven Selbstbezug ein Lebenlang prägend bleibt. MSG

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