Seit jeher hat sich die Menschheit für Träume interessiert und versucht, sie zu deuten. Freuds Buch Die Traumdeutung aus dem Jahr 1900 ist ein Meilenstein auf diesem Weg, weil es hier erstmals gelingt, Träume in einen sinnvollen Bezug zum Träumer zu bringen. Freud hat sein wichtigstes Werk immer wieder kommentiert und bei Erscheinen neuer Auflagen an den jeweils erreichten Stand der psychoanalytischen Traumtheorie angepasst. Über die Auseinandersetzung mit dem Traumphänomen hinaus kann das Buch als Einführung in die psychoanalytischen Denkfiguren, als Zeichenlehre und als klinisches Lehrbuch gelesen werden.
Doch warum gelang es gerade dem Arzt Sigmund Freud, das Jahrtausende alte Rätsel des Traums aufzuklären, an dessen Lösung sich die Menschheit seit der Antike versucht hatte?
WUNDERBLOG greift das Thema Träume auf und fragt: Was ist der Traum aus der Sicht der Psychoanalyse Freuds?
Natürlich hatte es vor Freud schon zahlreiche Ansätze zu einem Verständnis des Traumphänomens gegeben – Freud exzerpiert sie im ersten Kapitel der Traumdeutung. Insbesondere in der Antike war der Traum wichtiges Element der Griechischen Mythologie. Vor Aristoteles wurde der Traum nicht für ein Erzeugnis der träumenden Seele gehalten, sondern für eine Eingebung der Götter. Bei Aristoteles wird er dann zum Objekt der Psychologie. Zur Zeit der Aufklärung wiederum war der Traum nicht Gegenstand seriöser wissenschaftlicher Untersuchungen.
Freud stellte klar, dass der Traum nicht verstanden werden will, da er im Unterschied zum Witz kein soziales Ausdrucksmittel sei. Seine Funktion bestehe darin, den Schlaf des Träumers zu hüten, indem er ein Aufwecken als Folge von inneren oder äußeren Reizen zu vermeiden sucht. Die inhaltliche Struktur von Träumen stellt dabei in der Regel einen sexuell konnotierten Wunsch als erfüllt dar – die berühmte Wunscherfüllungsthese Freuds. Im Alptraum misslinge Freud zufolge die Kompromissbildung des Traumes, soweit die Traumarbeit hier nicht mehr zu geeigneten Kompromissen findet, die imstande sind, den störenden Reiz auf unbedenkliches Material zu verschieben oder anderweitig zu entstellen.
In seinem Traumbuch analysiert Freud vielfach auch eigene Träume. Seine Auseinandersetzung mit dem Phänomen resultiert jedoch auch aus der Erfahrung mit seinen Patienten, die ihm in den analytischen Sitzungen ihre Träume erzählen. Der Traum bietet sich ihm als Untersuchungsobjekt zumal auch an, weil er zeigt, dass ein psychodynamisches Unbewusstes im Sinne von gestaltauflösenden Primärprozessen auch bei 'normalen' Menschen besteht.
Im wesentlichen sind es jedoch vier Dinge, die Freud anders macht als die Autoren vor ihm: 1.) Der Träumer deutet seinen Traum selbst - nicht der Traumdeuter. 2.) Der Traum ist nicht prophetisch, er bezieht sich auf die Vergangenheit des Träumers. 3.) Einen Traum deute man nicht als ganzes, sondern en detail. 4.) Zwischen manifestem Trauminhalt und latenten Traumgedanken gelte es zu unterscheiden. Die Deutung betrifft insofern nur einen – wenngleich sehr zentralen – Aspekt von Freuds umfangreicher Untersuchung des Traumphänomens.
Was Träume bedeuten, stellt eine bis heute ungebrochen spannende Frage dar. In den aktuell an der Hirnforschung ausgerichteten Debatten fließt daher auch häufig die psychoanalytische Position mit ein. Allerdings stehen Psychoanalyse und Hirnforschung durchaus kontrovers zueinander. Versucht die Hirnforschung ihrerseits anhand bildgebender Untersuchungs- und Darstellungsverfahren das Traumgeschehen in den Gehirnarealen zu lokalisieren, stellt die Psychoanalyse Freuds von Beginn an ein Gegenprogramm zur neuronalen Lokalisationstheorie dar: Indem Freud das Feld der Sprache in die Psychiatrie einfügt, reagiert er gerade auf den Mangel an Instrumenten der naturwissenschaftlich arbeitenden psychiatrischen Medizin für ein Verständnis psychologischer Phänomene. Moritz Senarclens de Grancy