Der Kunstverein Hamburg rückt mit der Ausstellung Malerei, böse das subversive Potenzial der Malerei in den Blickpunkt. Anhand konkreter Bildmotive hinterfragen die Arbeiten Geschmacksvorlieben und Wertvorstellungen westlicher Industriegesellschaften und antworten zugleich auf den Anachronismus-Vorwurf gegen die Gattung der figürlich-abbildende Kunst. Die Bezugnahme auf das konkrete Objekt hat die Malerei derweil mit der Psychoanalyse gemein.
Die Ausstellung zeigt Werke von vier deutschen und einer britischen Künstlerin. So greift Birgit Brenner in ihren Bildern die mediale Berichterstattung von Terror und Gewalttaten auf. Hierfür arrangiert sie Bausätze von Drohnen, Panzern, Waffen oder Sportwagen als Symbole für eine komplex-verwickelte Wirklichkeit, deren Zusammenhänge für den Einzelnen längst undurchschaubar geworden sind.
Lydia Balke beschäftigt sich in ihren klassisch komponierten Gemälden mit berüchtigten Serienmördern. Deren gesellschaftliche Randposition lud immer schon zur Projektion der Fantasien “normaler” Gesellschaftsmitglieder ein. Doch auch die Kunstgeschichte durchzieht die Auseinandersetzung mit Motiven, die den Bruch mit der sozialen Norm zum Inhalt haben und dem sogenannten Bösen ein Gesicht zu geben versuchen.
Groß und bunt kommen die Gemälde von Bernhard Martin daher, deren skurrile Kompositionen mit der “Bling Bling-Ästhetik” der Konsumwarenwelt spielen. Martins “Psychogramme vom schönen Schein” zeigen Menschen in arrivierten Lebensverhältnissen, deren exklusiver Lifestyle seine dekadent-absurden Schattenseiten enthüllt. Inmitten der Kulissen der Upperclass werden die Folgen von Egoismus und Ignoranz erkennbar.
Gegen figürliche Malerei lässt sich einwenden, dass eine gegenständliche Bildsprache zu enge Vorgaben an die Interpretation eines Werkes stelle. Anders als abstrakte Kunstwerke engen figürliche Darstellungen somit den Radius der Auseinandersetzung mit einem Bild von vorneherein ein. Als Beispiel für diese Kritik wurde auf die DDR-Kunst mit ihrer konkreten Symbolsprache verwiesen, deren Interpretation angeblich immer nur eine (ideologisch verbrämte) Deutung zulasse.
Für die figürliche Malerei spricht indes, dass die Vertrautheit ihrer Symbolsprache gute Voraussetzungen für Künstler bietet, anhand ihrer Bildarrangements neue Spannungen zu erzeugen. In der Ausstellung resultiert das "Böse" sofern auch aus den Überrumpelungen, die unerwartete oder befremdliche Bildkonstellationen beim Betrachter auslösen. In diesen Momenten des Unbehagens tritt die innovative Kraft von Malerei spürbar hervor.
Mit der konkreten Figur nimmt es auch die Psychoanalyse auf. Ausgehend von Traumdetails und den Artikulationsweisen der Alltagssprache schafft sie neue Verknüpfungen und findet so Anhaltspunkte für die Verfeinerung von individuellen Fragestellungen. Diesem empirischen Selbstverständnis folgend arbeitet Psychoanalyse ebenso wie die Malerei unter Rückgriff auf das Konkrete, das sie untersucht.
Gerade dieser Ansatz, das konkrete Objekt, das man erforscht, nicht aus dem Blick zu verlieren, wird indes zum Anlass einer
Psychoanalyse-Kritik gemacht, sofern diese alles angeblich immer nur auf die Sexualität beziehe. In der Tat ist “das Sexuelle recht eigentlich der Eckstein der Psychoanalyse” (Serge Leclaire
2001, S. 29f.). Unterdessen besteht die doppelte Aufgabe des Psychoanalytikers darin, von einem Bezugssystem auszugehen und zugleich auf jegliches Bezugssystem mit seinen Voreingenommenheiten zu
verzichten.
Anders gesagt, ist der Ausgangspunkt der psychoanalytischen Arbeit die Suspendierung der Wissensposition. Hierdurch eröffnet sich die Möglichkeit, einer Gesetzmäßigkeit zu folgen, die sich konsequent der Gesetzmäßigkeit des zu erforschenden Objekts verpflichtet fühlt. So erklärt sich auch, weshalb Freuds psychoanalytische Formalisierungsbemühungen stets von konkreten Beobachtungen an einzelnen, oftmals nebensächlichen Phänomenen ausgehen.
Die Logik der unbewussten Wünsche erschließt sich daher auch erst, soweit den gesetzmäßigen Forderungen des Körpers ebenso Beachtung geschenkt wird wie den dynamischen und widersprüchlichen Besonderheiten soziokultureller Übertragungsprozesse. Moritz Senarclens de Grancy
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