Wieso reichen in der medizinischen Behandlung von Patienten anstelle von Medikamenten manchmal Scheinpräparate ohne Wirkstoff? Für dieses sonderbare Phänomen kennt man den Ausdruck "Placebo" - zu deutsch: ich werde gefallen. Der Fernsehsender Arte widmete dem Phänomen 2014 einen sehenswerten Dokumentarfilm, der das Phänomen auch aus psychoanalytischer Sicht untersucht hat. Denn während allgemein anerkannt ist, dass bei Placebos der Glaube an die Wirksamkeit eine zentrale Rolle spielt, ist weithin offen, wodurch dieser Glaube zustandekommt.
Wie kann bloßer Glaube die Biochemie des Körpers beeinflussen? Im komplexen Geschehen des Organismus verbinden Neuronen Körper und Gehirn und lösen Hormone aus, die beispielsweise Schmerzen lindern. Derselbe Effekt kann jedoch auch bei der Gabe von buten Pillen eintreten, die keinerlei Wirkstoffe enthalten. Eine wissenschaftliche Erklärung, was für diesen Effekt verantwortlich ist, steht noch aus.
Aus psychoanalytischer Sicht spricht vieles dafür, dass das Placebo ein Suggestiveffekt darstellt. Mit anderen Worten lässt sich das Gehirn des Patienten durch die Autorität des Arztes und seiner Worte austricksen. Das Placebo selbst erscheint dabei wie ein Nebenschauplatz, während die menschliche Beziehung im Arzt-Patienten-Verhältnis, die Überzeugung des Arztes und insbesondere der Dialog mit dem Patienten die Wirkung auslöst.
Freud sprach mit Blick auf solche zwischenmenschlichen Energien von Übertragungen und verwies an anderer Stelle darauf, dass Worte in der Lage sind, Menschen zum Lachen als auch zum Weinen zu bringen - beides physiologische Vorgänge. Dieses einfache Beispiel legt indes offen, dass Körperreaktionen die unmittelbare Folge von psychischen Einwirkungen sein können. Die moderne Medizin ist mittlerweile wieder auf diese Zusammenhänge aufmerksam geworden, die sie zu den Wurzeln ihrer Disziplin zurückführen. In der Antike war allgemein anerkannt, dass die Medizin in der Psychologie gründet.
Interessanterweise relativiert ein semantisch fundiertes Verständnis der Wirkung von Placebos den Unterschied zwischen Schmerzmitteln, Psychotherapie und Physiotherapie. Dies lässt sich auch an Studien zu chronischen Schmerzen ablesen, die Mithilfe von Placebos gelindert wurden. Im Zentrum des Placeboeffekts steht die Beziehung zu einem Anderen, dem die Fähigkeit unterstellt wird, heilen zu können. Der Psychoanalytiker Michael Balint wies darauf hin, dass sich der Arzt immer auch selbst verschreibt.
Psychoanalytisch betrachtet erscheint Placebo somit als ein Effekt der Sprache, der die Fähigkeit zueigen ist, physiologische Veränderungsprozesse im menschlichen Nervensystem zu bewirken. Somit hat das Placebo die Dimension des Realen im Lacanschen Sinne. Die Wirkung kommt nicht von der Pille, sondern von dem, was sie sprachlich ermöglicht. Dass diese Macht kaum zu überschätzen ist, zeigen neueste Studien mit Patienten, denen absichtlich mitgeteilt wurde, dass sie Placebos erhalten. Auch ohne die sonst übliche Täuschung, so das überraschende Ergebnis dieser Untersuchung, trat der Placeboeffekt ein. Moritz Senarclens de Grancy
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