Das Phänomen des Traums hat die Menschheit seit jeher fasziniert, zugleich aber auch vor Rätsel gestellt. Der Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud, erkannte um 1900 im Traum den “Königsweg” zum Verständnis unbewusster Seelenzustände. Doch erst seit den 1980er Jahren wird der Traum auch als soziales Phänomen aufgefasst und für die Arbeit in Unternehmen und temporären Organisationen genutzt. Ausgehend von den Entwicklungen des britischen Psychoanalytikers W. Gordon Lawrence stellt dieser erste Einführungsband in deutscher Sprache die Methodik und Praxis der sozialen Traummatrix allgemeinverständlich dar und gibt Hintergrundwissen zur Bedeutung von Träumen für komplexe soziale Dynamiken in Gruppen. Er zeigt die wichtigsten Anwendungsbereiche für Social Dreaming in Wirtschaft und Gesellschaft auf und leitet über zu einem kollektivpsychologischen Verständnis von Träumen und ihren Verbindungen zum sozialen Leben in Gruppen und Gesellschaften.
Einer bislang unbeachteten, frühen These Freuds zufolge sei es der “heißeste Wunsch der Menschheit”, etwas “zweimal tun zu dürfen”. Dahinter steckt eine ambivalente Figur, die darauf aus ist, sich einem Vergangenheitsbild anhand von Wiederholungen anzunähern und zugleich mit ihm zu brechen, um frei für die Zukunft zu werden. Diesen Gedanken verbindet der Essay mit dem Mythos von der Vertreibung Adams und Evas aus dem Paradies. Hierin liegt der Schnitt, schlechthin der cut, hinter den es kein Zurück mehr gab. Aber was ist damals eigentlich geschehen, als Gott die ersten Menschen dafür bestraft hat, weil sie versucht hatten, teilzuhaben an der Erkenntnis? Beide Argumentationslinien – die vom Wunsch nach der ewigen Wiederkehr des Vergangenen und die von der Vertreibung aus dem Paradies – werden auf raffinierte und unterhaltsame Weise ineinander verwoben. Der immer wieder hergestellte Gegenwartsbezug unterstreicht, dass es es sich keineswegs um intellektuelle Drahtseilakte unter dem Kuppeldach eines Elfenbeinturms handelt, sondern um drängende Fragen des Lebens. Bereits die Frage, was wir von der Zukunft erwarten können, wird ganz wesentlich davon bestimmt, was wir glauben, verloren zu haben. Dieser Essay ist der Versuch, auf diese schicksalshafte Frage eine Antwort im Sinne Freuds zu geben.
Begleitend zur Wiedereröffnung des Wiener Sigmund Freud Museums nach der Neugestaltung des Hauses Berggasse 19 ist ein reich illustrierter Katalog über den Ursprungsort der Psychoanalyse erschienen. Er führt durch die Wohn- und Arbeitsbereiche der beiden Wohnungen der Familie Freud und nimmt sie zum Ausgangspunkt, um den vielfältigen Erzählsträngen des Ortes nachzugehen.
FREUD
Berggasse 19 – Ursprungsort der Psychoanalyse
Hrsg. Monika Pessler, Daniela Finzi, Text(e) von Siri Hustvedt, Monika Pessler, Hermann Czech, Daniela Finzi, Arkadi Blatow, Christfried Tögel, Philippe van Haute, Hermann Westerink, Viktor Mazin, Mai Wegener, Andreas Mayer, Liliane Weissberg, Elisabeth Roudinesco, Christine Diercks, August Ruhs, Ulrike May, Eran Rolnik, Michael Molnar, Roman Krivanek, Inge Pretorius, Michaela Raggam-Blesch, Heidemarie Uhl, Carol Seigel, Joseph Kosuth, Mario Codognato, Martin Prinzhorn, Gestaltung: Martha Stutteregger
Hatje Cantz Verlag 2020. 400 Seiten, 220 Abb., gebunden, 54 Euro
ISBN 978-3-7757-4734-9
Andreas Mayer
Sigmund Freud zur Einführung
Junius: Hamburg 2016
224 S., 14,90 Euro
Der Autor lässt seine Einführung in das Werk Freuds bei den Anfängen der Psychoanalyse zwischen Hypnotismus und Couch beginnen, widmet sich dem Werk Die Traumdeutung als Schlüsseltext des Zugangs zum Unbewussten, diskutiert die Bedeutung der Freudschen Sexualtheorie, schildert detailreich die Auseinandersetzung mit Mythologie und Kulturgeschichte, erläutert den Weg zur Aufstellung einer Metapsychologie, betritt den “dunklen Kontinent” der Freudschen Seelenexploration in der Frage nach dem weiblichen Begehren, um schließlich im Triumph der “Geistigkeit” zu gipfeln, also bei Freuds Auseinandersetzung mit dem Unbewussten der Kulturgeschichte insbesondere in Der Mann Moses und die monotheistische Religion. Ein bereits in der Studie Träume nach Freud angewandter methodischer Ansatz kommt wieder zum Einsatz: Die Parallellektüre der verschiedenen Auflagen der Traumdeutung als auch weiterer Publikationen Freuds. Insbesondere Freuds Magnum Opus Die Traumdeutung unterlag von Auflage zu Auflage Änderungen und Ergänzungen, die unter der Beteiligung von Patienten, Kollegen und Lesern zustande kamen. Freuds Traumbuch richtete sich an eine heterogene Zielgruppe aus Philosophen, Neurologen und Psychiatern, die sich am Ende des 19. Jahrhunderts um die Ausarbeitung einer wissenschaftlichen Psychologie bemühte. Anhand eines Vergleichs der Editionen kann Mayer nachzeichnen, wie sich Freuds weiteres Nachdenken über das Traumphänomen auch als Reaktion auf kritische Einwände vollzog, die dann in die weiteren Auflagen des Traumbuches einflossen. Die Frage der Deutbarkeit von Träumen wurde zumal auch zum Lackmustest unter den Anhängern Freuds und führte zur Trennung von Adler und Jung – und insoweit zum Kampfplatz zur Durchsetzung der reinen Lehre, an der sich nicht nur die Geschichte der Denkbewegungen Freuds ablesen lässt, sondern auch diejenige der frühen psychoanalytischen Bewegung. (Die vollständige Rezension erschien in PSYCHE 72/6 2018 S. 515-517)
Christian Kläui: Tod – Hass – Sprache. Psychoanalytisch. 2017. Turia + Kant: Wien. Rezension erschienen in RISS – Zeitschrift für Psychoanalyse, #87.
Der Tod lässt im Unbewussten nichts zum Klingen bringen. Auf diese Weise von der psychischen Repräsentation ausgeschlossen, erscheint der Tod umso bedrohlicher, weswegen wir ihn gerne verleugnen. Der Schweizer Psychoanalytiker Christian Kläui nimmt diese Überlegungen zum Ausgangspunkt seiner Studie Tod-Hass-Sprache. Psychoanalytisch und untersucht die Rolle des Todes für den psychischen Apparat, wie ihn Freud entwickelt. Dem Autor gelingt eine dichte, geradezu packende Auseinandersetzung mit der Strukturfunktion des Todes in der Theoriegenese und im Denken der Psychoanalyse.
Träume, Symptome, Fehlleistungen, Fetische, unfreiwillige Komik –
Moritz Senarclens de Grancy: S – Selbstwissen
Kleiner Stimmungs-Atlas in Einzelbänden
Hg. Gustav Mechlenburg, Nora Sdun
Gestaltung: Christoph Steinegger/Interkool
Textem Verlag, Hamburg 2018
Druck: Druckhaus Köthen
ISBN: 9783941613935
155 Seiten, 16 Euro
Die Erzählung von der Vertreibung aus dem Paradies mag die Vorstellung wecken, dass es schöner wäre, auf Selbstwissen verzichten zu können wie das instinktbegabte Tier. Ungeachtet dessen ist der Mensch letztlich gezwungen, um die Tatsache seines Menschseins zu wissen und sich dementsprechend zu verhalten. Menschsein ist offensichtlich nur um den Preis des Selbstwissens möglich, auch wenn es, wie bei Ödipus, ein das Selbst vernichtendes Wissen sein kann. Es bleibt bis zuletzt merkwürdig, was für ein Wissen dieses Selbstwissen eigentlich ist, wenn es dem Einzelnen so wenig Freude bereitet. Mehr vom Selbstwissen lesen...
Wörler, F. (2015). Das Symbolische, das Imaginäre, das Reale. Lacans drei Ordnungen als erkenntnistheoretisches Modell. Bielefeld: transcript (Reihe »Psychoanalyse«), 290 S., 34,99€
Rezension von Moritz Senarclens de Grancy in Psychoanalyse im Widerspruch, Nr. 58, 2017, 29(2), 121–130
Marie-Luise Angerer (2017), Affektökologie: Intensive Milieus und zufällige Begegnungen. Lüneburg: meson press. 71 Seiten. Zum Donwload
Aus dem Klappentext: "Wenn heute Umwelt, Technik und Menschen sensorisch verbunden werden, dann drängen sich die Fragen des Empfindungsvermögens medientheoretisch neu auf. Affektökologie erforscht die Bewegungen des Verbindens, Übersetzens und Trennens als basale Operationen von Affekten.
Das Buch eignet sich als Einstieg in den Diskurs oder zur Vertiefung spezifischer Fragestellungen. Im Fokus stehen unter anderem Darstellungen von Gewalt und des »Bösen«, der Traumadiskurs in der Geschichte und Theorie der Fotografie, Scham als Kontrollmechanismus in der Performancekunst, die narzisstische Konstellation der Aktmalerei, die Beziehung zwischen Affekt und Identität sowie Selbstzerstörungsmechanismen des narzisstischen Kosmos in den Filmen Hitchcocks.
Mit Beiträgen von Ada Borkenhagen, Gerlinde Gehrig, Margaret D. Iversen, Ulrich Pfarr, Gerhard Schneider und Moritz Senarclens de Grancy
Die neue Ausgabe von Y - Revue für Psychoanalyse erschien im Februar 2016 und ist dem Thema "Schreiben und Begehren" gewidmet. Das von der Berliner Autorin Corinna Sigmund (Schreibbegehren) herausgegebene Heft enthält Beiträge von Theres Lehn, Klaus Böldl, Marcus Steinweg, Dominik Barta, Anne Sauvagnargues, Marcus Coelen, Franz Kaltenbeck, Eckhard Rhode und Rolf Nemitz. Broschur, 110 Seiten, 17 Euro.
Caroline Neubaur: Der Psychoanalyse auf der Spur II. Zeitreise mit Rezensionen. Berlin (Vorwerk 8) 2012. 1360 Seiten, € 64,00.
"Wäre Freuds Vorschlag einer Volluniversität aus dem Laienanalyse-Text von 1926 umsetzbar, Caroline Neubaurs Der Psychoanalyse auf der Spur II gäbe schon einmal eine schöne Literaturliste für die Bibliothek her. Dies auch, weil der kapitale Band gerade nicht ausschließlich Rezensionen psychoanalytischer Fachliteratur vereint. Wie selbstverständlich tauchen in diesem Handbuch psychoanalytischer Publikationsgeschichte auch Romanbesprechungen von Bulgakow, Handke und Kis neben Rezensionen kunsthistorischer, religionsphilosophischer, kulturwissenschaftlicher, archäologischer und pädagogischer Arbeiten auf." (Rezension von Moritz Senarclens de Grancy, PSYCHE 8/2015, S. 777-779.)
Dieter Eisentraut: Manets neue Kleider. Zur künstlerischen Rezeption der Olympia, des Frühstücks im Grünen und der Bar in den Folies-Bergère. Olms Weidmann 2014. 280 S. mit 130 überwiegend farbigen Abb. 68 Euro.
Von einer Metaphorizität von Bildern lässt sich sprechen, wenn
Bildmotive bekannter Werke der Malerei von nachfolgenden Künstlern aufgegriffen und in neue Zusammenhänge gebracht werden. Diese Wanderbewegung von Bildern und ihre vielfältigen Beziehungen
zueinander untersucht Dieter Eisentraut ausgehend von drei Werken des französischen Impressionisten Edouard Manet in seinem Buch Manets neue Kleider. Der sorgsam editierte Band demonstriert Erkenntnisreichtum und
Diskursstärke einer Kunstwissenschaft, die den Fokus auf innere Zusammenhänge richtet und die nicht an formalen Beschreibungen haften bleibt. Weiterlesen auf Literaturkritik.de...
Otto Fenichel: Psychoanalyse und Gymnastik. Hg. v. Johannes Reichmayr. Psychosozial-Verlag Gießen 2015. 209 Seiten. 24,90 Euro.
Freuds Modelle der Psyche referieren auf den Körper und dessen "Arbeitsaufträge an die Seele". Dessen ungeachtet wird das Somatische aus dem Setting der psychoanalytischen Kur weitgehend ausgeklammert. Der hier erstmals veröffentlichte Text "Psychoanalytische Untersuchungen über die Wirkungsweise der Gymnastik" (1927) offenbart Otto Fenichel neben Sándor Ferenczi, Georg Groddeck, Felix Deutsch und Wilhelm Reich als Vorreiter der Körperpsychotherapie. Die Triebtheorie Freuds als auch die Reformgymnastik nach Elsa Gindler einbeziehend rückt Fenichel den Körper in den Mittelpunkt der Betrachtung zwischen Muskeltonus, Affektverdrängung und Motorik.
Jan Behrs, Benjamin Gittel, Ralf Klausnitzer: Wissenstransfer. Konditionen, Praktiken, Verlaufsformen der Weitergabe von Erkenntnis. Frankfurt am Main 2013.304 Seiten. 57,95 Euro.
Der Begriff „Wissenstransfer“ bezeichnet epistemische Transferhandlungen aller Art. In dieser Bedeutungsvarianz des Ausdrucks
liegt zugleich seine Problematik, ist er doch von grundlegender Bedeutung für die Wissenschaften. Es fehlte bislang eine ausführliche Dokumentation des Gesamtkomplexes sowie eine Zusammenfassung
der Konzepte zum Thema Wissenstransfer. In diese Lücke stößt die kulturtheoretische Untersuchung des Autorentrios Jan Behrs, Benjamin Gittel und Ralf Klausnitzer. Weiterlesen...
Franz Kaltenbeck, Lesen mit Lacan – Aufsätze zur Psychoanalyse. Parodos. Berlin 2013. 334 Seiten. 45 Euro.
Die Aufsatzsammlung Lesen mit Lacan des Pariser Psychoanalytikers Franz Kaltenbeck vereint mehr als zwei Dutzend Beiträge zur Psychoanalyse, geschrieben
zwischen 1978 und 1998. Diese haben so unterschiedliche Themen wie etwa der Begriff der Angst und der Zeit in der Psychoanalyse, das Konzept des somatischen Entgegenkommens aus Freuds
Hysterieforschung, Lacans Erfindung der passe, einen Vergleich der Theorien von Freuds Schülern zur Kriminalität oder auch eine Analyse von Kafkas
Brief an den Vater zum Inhalt. Jenseits dieser Vielgestaltigkeit sucht das Buch seinen Lesern eine spezifische, an Lacan angelehnte Lektürepraxis nahezubringen, die jegliche Gelehrsamkeit
vermeidet. MSG
Eric Kandel. Das Zeitalter der Erkenntnis. Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute. Siedler. München 2012, 704 Seiten, 39,99 Euro.
Mit Das Zeitalter der Erkenntnis hat Eric Kandel der Wiener Moderne zwischen 1890 und 1918 eine umfassende Retrospektive gewidmet. Selbst ein gebürtiger Wiener, floh der spätere Hirnforscher und Medizinnobelpreisträger mit neun Jahren vor den Nationalsozialisten nach New York. Jetzt begibt er sich zurück ins Wien der Jahrhundertwende, wo Künstler und Wissenschaftler mit der Erforschung des Unbewussten eine völlig neue Erkenntnisleistung vollbrachten, um von hieraus die Entwicklung der modernen Hirnforschung aus der „kognitiven Psychologie“ Freuds nachzuzeichnen. Die wesentliche Entdeckung Freuds - dass es ein dynamisches Unbewusstes gibt - bleibt dabei jedoch außeracht. MSG
Thomas Barth. Wer Freud Ideen gab. Eine systematische Untersuchung. Waxmann. Münster 2013. 342 Seiten. 34,90 Euro.
Thomas Barths Buch zeichnet in systematischer Vorgehensweise die vielseitigen Ideenverläufe im Freudschen Oeuvre nach. So zeigt der Autor, dass die Einflüsse seitens Lamarck und Haeckel in Freuds Werk häufig implizit sind, d.h. in der Verwendung spezifischer Begriffsschöpfungen - wie etwa bei der "archaischen Erbschaft" (Lamarck) oder der Gegenüberstellung von "Ontogenese" und "Phylogenese" (Haeckel) zum Tragen kommen. Impliziten Einfluss erkennt Barth auch bei Freuds Ideen zur Anatomie; in dem Vergleich "sogenannter" Wilder und verschiedenen Formen der Neurose und der infantilen Sexualität sowie den daran anknüpfenden Überlegungen zu Kunst, Religion und Kultur übernahm er Konzepte von Goethe und Darwin. Gerade diese für Freuds Denken typischen Übertragungen aus den Nachbarwissenschaften in seine Psychologie macht Barths Buch zu einer lesenswerten Roadmap der Freudschen Ideengeschichte. MSG
Timo Storck (Hg.). Zur Negation der psychoanalytischen Hermeneutik. Psychosozial-Verlag. Gießen 2012. 397 Seiten. 39.90 Euro.
Freuds Festhalten an den Naturwissenschaften - an Neurologie und Biologie - stand seit jeher in einem Widerspruch zu der
Tatsache, dass es in seinen Schriften so überaus häufig um Texte geht, ums Sprachverstehen, um Übersetzungen und Interpretationen, mithin um literarische Arbeitsweisen. Aus dieser Schwellenlage
zwischen Objektivismus und Hermeneutik bezieht Psychoanalyse seit jeher ihre Innovationskraft, was Paul Ricoeur zu der Chiffre von der Psychoanalyse als „gemischter Rede“ anregte (Ricoeur 1965).
Zugleich resultiert hieraus die Schwierigkeit, Psychoanalyse im Kanon der Wissenschaftsauffassungen zu verorten. In der von Timo Storck herausgegebenen Publikation avanciert der methodische
Stellenwert von Negativität zum spezifischen Merkmal einer psychoanalytischen Erkenntnishaltung rund um die Frage, was das Verstehen von Bedeutungen in der psychoanalytischen Arbeit ausmacht.
MSG
Marco Solinas. Via Platonica zum Unbewussten. Platon und Freud. Turia + Kant. Wien, Berlin 2012. 201 Seiten. 24 Euro.
Freuds zahlreiche Bezugnahmen auf antike Autoren sind von der Forschung als eine starke antike Traditionslinie der Psychoanalyse gewürdigt worden. Gleichwohl Freud in Massenpsychologie und Ich-Analyse den psychoanalytischen Erosbegriff mit dem der Platonischen Liebe gleichsetzt oder an anderer Stelle eine Dreiteilung des Seelenapparats vornimmt, zitiert er Platon – etwa im Vergleich zu Aristoteles – selten unmittelbar. Marco Solinas Parallellektüre untersucht daher, wieviel tatsächlich vom Corpus Platonicum in Freuds Texten steckt und erkennt vor allem in Platons Traum- und Wunschtheorie aus dem Achten und Neunten Buch des Staates die theoretische Grundlage zu Freuds Denken. Somit eröffnet sich für Solinas hinter Freuds wichtigster Entdeckung, der via regia zum Unbewußten, eine bislang nicht ausreichend erforschte via platonica. Denn zahlreiche Parallelen und Analogien zeugen von einer komplexen Wirkungsgeschichte des Platonischen Werks im Denken Freuds wie die Bedeutung von Konflikten, die immer dort auftreten, wo Menschen aufeinandertreffen – in Staat und Familie. MSG
Lydia Marinelli: Tricks der Evidenz. Zur Geschichte psychoanalytischer Medien, hg. von Andreas Mayer. – Psyches Kanon. Zur Publikationsgeschichte rund um den Internationalen Psychoanalytischen Verlag, editorisch bearbeitet von Christian Huber und Walter Chramosta. – (Mit Andreas Mayer) Träume nach Freud. Die “Traumdeutung” und die Geschichte der psychoanalytischen Bewegung.
Wien (Turia + Kant), 287, 215 und 231 Seiten. Alle 3 Bände im Schuber 70 Euro, einzeln je 29 Euro.
Es ist ein offenes Geheimnis der Psychoanalyse, dass sie in Wahrheit von Frauen erfunden wurde – den ersten Patientinnen Josef Breuers und Sigmund Freuds: Anna O., Emmy von N., Lucy R. u.v.a. Schon die allererste unter ihnen, Anna O. alias Bertha Pappenheim, prägte die Bezeichnung “talking cure”, also “Redekur”, nachdem sie auf die Methode verfallen war, sich von ihren Symptomen im Beisein ihres Arztes freizusprechen. Seither stellt das gesprochene Wort das Mittel der therapeutischen Technik in der Psychoanalyse dar. Doch dass wir von diesen Vorgängen überhaupt Kenntnis erlangen konnten, ist der Verschriftlichung der klinischen Sitzungen zu verdanken, die Breuer nach hartnäckigem Insistieren Freuds, der die Krankengeschichte für die gemeinsame Publikation “Studien über Hysterie” benötigte, anfertigte. Marinelli betont die Wichtigkeit von Publikationen für den internationalen Erfolg der Psychoanalyse und zeichnet Freuds publizistisches Engagement für psychoanalytische Fachzeitschriften detailliert nach. MSG