Die Zukunft der Psychoanalyse hängt davon ab, inwieweit sie ein ähnliches Interesse für gesellschaftliche Fragen entwickeln kann, wie es der ersten Generation der Psychoanalytiker gelang.

(A. Mitscherlich)

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Das Werden des Analytikers

In einem Brief an Oskar Pfister aus dem Jahr 1913 bekennt Sigmund Freud, dass die Mehrzahl der Ärzte für die Ausübung der Psychoanalyse nicht ausgerüstet sei und in ihrer Würdigung völlig versage. Was es braucht, ist psychologische Vorbildung und einen freien menschlichen Blick.

 

WUNDERBLOG greift in dieser Rubrik das Thema auf und fragt: Auf was kommt es beim Analysieren eigentlich an? Wie gestaltet sich das Werden von Analytikern? Und was legitimiert eigentlich zum psychoanalytischen Arbeiten?

Wer sich in Deutschland für den Beruf des Psychoanalytikers interessiert, absolviert üblicherweise eine sog. "Lehranalyse" an einem staatlich anerkannten Ausbildungsinstitut. Voraussetzung hierfür ist ein abgeschlossenes Studium in Psychologe oder Medizin. Bewerber mit Abschlüssen anderer Fachrichtungen werden von den Instituten nicht aufgenommen.

 

Was so seit langem Normalität ist, erscheint dennoch merkwürdig. War es nicht gerade Freuds Unzufriedenheit mit dem mangelnden Verständnis der Medizin für alles Seelische, was das Hauptargument für die fachliche Unabhängigkeit von Psychoanalyse lieferte? Noch bei seiner Rede an der Clark University in Worcester Massachusetts sagt er seinem amerikanischen Publikum: "It is not without satisfaction that I have learnt that the majority of my audience are not members of the medical profession. You have no need to be afraid that any special medical knowledge will be required for following what I have to say." (SE, XI, p. 9)

 

In der Tat ist das Interesse der Psychoanalyse interdisziplinärer Art. Zwar begann Josef Breuer die Behandlung seiner Patientin "Anna O." (vgl. Studien über Hysterie, Freud 1895d) als praktizierender Arzt, doch führte sein Weg sehr schnell in eine andere Richtung - in die Richtung des Individuums, das sich an ihn wandte. Eben weil es bereits in den Anfängen der Psychoanalyse um das individuelle Subjekt ging, musste es zu einer Öffnung des Wissens in alle Richtungen kommen. Freud sprach sich deshalb dafür aus, es mit der Universalität des Wissens aufzunehmen. Insofern sollte es doch auch heute noch keinen Grund geben, irgendeine Disziplin vom Zugang zum Beruf des Psychoanalytikers fernzuhalten.

 

Mit Blick auf die Ausbildung zum Psychoanalytiker geht es nicht um die Vermittlung eines Fachwissens oder Methodenkanons, sondern um die Einübung in den Umgang mit Wissensprozessen, die ihre Bezugspunkte im Unbewussten haben. Dabei ist das Medium des Unbewussten die Sprache und das Sprechen. Denn das neue Feld, das Freud in die Psychiatrie eingefügt hat, ist das der Sprache. Analytiker sind daher geübt darin, auf das Sprechen ihrer Analysanten zu hören und es zu stützen. Sie hören ihnen in der Gewissheit zu, dass sie stets mehr sagen, als sie wissen. Dies ist nicht bloß eine Sache von Fragetechniken.

 

Manche Ausbildungsinstitute verlangen von werdenden Analytikern eine Lehranalyse von bis zu 700 Stunden. Andere Institute fordern sogar 1000 Stunden. Als wäre damit eine Garantie für die Qualität der Arbeit eines werdenden Analytikers gegeben. Nicht jedermanns Jahre auf der Couch sind Lehrjahre in Richtung auf das analytische Arbeiten mit Analysanten. Überdies meinte Otto Sachs, keine wesentlichen Unterschiede zwischen Lehranalysen und therapeutischen Analysen gefunden zu haben.

 

Im Zentrum der Ausbildung steht ohne Zweifel die Eigenanalyse. Doch erscheint heutzutage das staatlich garantierte Zertifikat von größerer Bedeutung, und Aspiranten bezahlen den anerkannten Instituten und ihren Ausbildern viel Geld für einen Meisterbrief. Niemand spricht dann noch aus, was mit Blick auf den Diskurs der Analyse gesagt werden müsste: Das Interesse der Analysanten wird nicht durch Zeugnisse gewahrt. Sondern durch die Wahl eines geeigneten Analytikers.

 

Die Laienanalyse, wie Freud sie sich dachte, ist eine Öffnung der Psychoanalyse zur Wissenschaft hin. Sie erstreckt sich über die Linguistik, die Sprachgeschichte, Literatur- und Kunstgeschichte, die Kulturwissenschaft u.v.m. – und nicht, wie Jones meinte, über die Medizin. Gewiss ist es nicht verkehrt, über medizinisches oder biologisches Wissen zu verfügen, wenn man analytisch arbeitet. Mindestens so wichtig ist es jedoch, über des Wissen von Philologie, Kunstgeschichte, Theologie und Literaturwissenschaften zu verfügen. Die Aufzählung ließe sich weiter fortsetzen.

 

Klar ist auch, dass es im Geschehen der psychoanalytischen Arbeit gar nicht um den Einsatz oder den Umgang mit einem bestimmten Fachwissen geht. Analysieren hat weniger mit Wissen als mit Nichtwissenkönnen zu tun. Bions berühmte Formel No memory, no desire, no understanding bringt diesen Aspekt auf den Punkt. Vor diesem Hintergrund gibt es berechtigte Zweifel an der Vorstellung, das Psychoanalysieren (Leclaire) ließe sich im Rahmen einer institutionalisierten, staatlich zertifizierten Ausbildung akkumulieren und in standardisierten Prüfungen abfragen.

 

Psychoanalytisches Arbeiten basiert doch eher auf Dingen, die nicht in Lehrformeln aufgehen. Vermutlich schrieb Freud aus diesem Grund auch nie ein methodisches Lehrbuch, dessen ungeachtet sich zahlreiche technische Hinweise auf sein gesamtes Werk verteilen. Moritz Senarclens de Grancy

Siehe zum Thema auch die Initiative von medico international.

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