Die Zukunft der Psychoanalyse hängt davon ab, inwieweit sie ein ähnliches Interesse für gesellschaftliche Fragen entwickeln kann, wie es der ersten Generation der Psychoanalytiker gelang.

(A. Mitscherlich)

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Die Macht der Dinge in der Regie des Geldes

Manchmal ist ein Schuh auch nur ein Schuh. Doch warum wird er dann zum Thema gemacht? Bild Floto + Warner
Manchmal ist ein Schuh auch nur ein Schuh. Doch warum wird er dann zum Thema gemacht? Bild Floto + Warner

Phänomenologisch bedeutet die Erfindung des Geldes wohl die größte Abstraktionsleistung der Menschheit. Heute tauschen wir Waren gegen Papiergeld und nicht mehr Ware gegen Ware. Geld vereinfacht den Warenverkehr, welcher indes nicht ohne den Austausch von Worten zustande kommt. Interessant ist daher immer die Frage, welche Worte, Texte oder Geschichten ausgesprochen werden müssen, damit das Geld locker sitzt und gegen Dinge eingetauscht wird.

 

Der Wert von Geld bemisst sich auch im Direktbankenzeitalter danach, welche sinnlich erfahrbaren Dinge man dafür bekommt: Essen, Bücher, Bekleidung, Reisen, Autos, Wohnungen. Ein Baumwoll-Shirt mit Aufdruck kann fünf, aber auch fünfzig Euro kosten. Die Bindung von Waren an einen Geldwert, den sich der einzelne Konsument leisten kann oder nicht, zieht nach sich, dass die Frage „Wieviel hat das gekostet?“ oder auch „Wieviel hätte das eigentlich kosten müssen?“ zur Hauptkategorie bei der Qualifizierung und Bestimmung von Dingen geworden ist. Das Abstraktmedium Geld bestimmt über den symbolischen Wert der Dinge.

 

„Je mächtiger und illusorischer die Dinge in der Regie des Geldes werden, desto mehr befinden sie sich in einer von Subjekten kaum mehr beeinflußbaren Eigenbewegung“ (Böhme 2006, S. 136). So präsentierte die Firma Porsche 2009 vor rund 300 Journalisten aus aller Welt ihr neuestes Modell – im 94. Stockwerk des Shanghai World Financial Center. Dazu musste die zwei Tonnen schwere Limousine hochkant in einen Lastenaufzug gefahren werden.

 

Ein anderes Beispiel für die Macht der Dinge in der Regie des Geldes ist die Tendenz, dass sich Schuhgeschäfte mit konsumorientierter Klientel in ihrem Design an Kunstgalerien orientieren. Ganz absichtlich folgen sie einer an sich verkaufsbehindernden Strategie, die besagt, dass das Dunkle, Obskure und Verstellte Elitekunden anzieht. In einem solchen Geschäft ein Paar Schuhe zu verlangen, geht nicht. Vielmehr kauft man „Sneakers“ zu Preisen zwischen 80 und 500 Dollar und trägt sie nur gelegentlich, wenn überhaupt.

 

Vielleicht läßt sich behaupten, dass die Früherziehung des Kindes weg vom konkreten, sinnlich erfahrbaren Kotspiel zu Substituten aus Knete u.ä. in eine Richtung geht, deren qualitatives Merkmal das Abstrakte ist und die den Erwachsenen vom Gestalter zum Gestalteten werden läßt. So erobern die zahlungskräftigen Liebhaber von „Sneakers“ die auf Underground getrimmte Schuhgalerie und fühlen sich ihr verbunden, als wäre das Konzept ihre ureigene Idee gewesen.

 

Ein weiteres Beispiel: Umzingelt von Verbraucherkreditverträgen für Auto, Einbauküche und Stereoanlage mag sich das Individuum im Job noch so sehr als Kreativer fühlen - über die Frage, zu welchen Konditionen es arbeiten muss, um die „Knete“ für die Kredite zusammenzukriegen, die es Monat für Monat über Jahre hinweg bedienen muss, entscheiden letztlich die Banken.

 

In einer seiner frühsten individualpsychologischen Entwicklungsetappen, der analen Phase, lernt der Mensch das Konkrete sprichwörtlich aus sich selbst heraus zu schätzen. Die Erziehung unternimmt im selben Moment alles, um dem Kleinkind sein eigenes konkretes Lustobjekt durch sozial adäquate Dinge zu ersetzen. Damit wird eine Bewegungsrichtung angestoßen, die den Menschen langfristig vom Konkreten entfernt - nicht in dem Sinne, dass er die Dinge nicht habe, sondern dass sein Verhältnis zu ihnen in einen bestimmten Dienst gestellt wird.

 

Das Begehren des Kindes an den eigenen Ausscheidungen wird von den Erwachsenen nicht goutiert; vielmehr soll es am Warentausch der anderen teilnehmen. Zu Recht, denn der Mensch kann nicht auf dem Niveau des Eigentauschs sozial überleben. Er muss in jeder Hinsicht übertragungsbereit und -fähig sein, andernfalls droht ihm die Vereinsamung. Daher die rigide Unterdrückung der analen Lustquellen.

 

Vielleicht ist dies die „Nebenwirkung“ von Sublimierung? Im psychoanalytischen Verständnis meint Sublimierung, dass sexuelle Triebenergie auf ein neues, nicht sexuelles Ziel abgelenkt wird. Sublimierung im Sinne der Chemie bezeichnet einen Vorgang, durch den ein Körper von einem festen in einen gasförmigen Zustand übergeführt wird – also eine Entfernung von der Ausgangslage, eine Entwicklung vom Konkreten zum Abstrakten. „Sublimation in der analen Phase wäre zum Beispiel, wenn ein Kind das Interesse für Modellieren und Malen unter Umständen durch einen besonders heftigen Konflikt aus Anlaß des Wunsches, mit Kot zu schmieren, bestimmt, nicht jedoch durch das Bedürfnis oder den Wunsch, sich mit einem Maler zu identifizieren“ (Brenner 1955/2000, S. 167).

 

Die „geeigneteren Objekte“ haben so gesehen gemein, dass sie den Menschen von seiner Naturveranlagung entfernen und sein Interesse auf kulturell-ästhetisch höherwertige Ziele lenken. Die Geschichte der Objektbeziehungen des Menschen erscheint unter Berücksichtigung seiner notwendigen Ichentwicklung somit als eine Geschichte der Entfernung und Entfremdung: je entwickelter der Mensch desto abstrakter der Ersatzcharakter der Objekte, die er besetzt.

 

Wie kann es dann noch möglich sein, Vergnügen an abstrakten Objekten und Zielen zu empfinden? Indem Rückbindungen zu den konkret sinnlichen Vergnügungen früherer Entwicklungsphasen der menschlichen Triebkonstitution konstitutiv möglich sind. Das Sammeln von Dingen wie auch das künstlerische Gestalten beispielsweise mag so eine Form der Rückbindung an eine einstige analerotische Lustquelle sein. Diese Rückbindungen können so unterschiedlich sein wie eine Münzsammlung und das Sammelsurium eines Messies. Der Unterschied ist nicht, dass eine Kunstschätzesammlung ästhetischer sei als die Zeitungen und Verpackungen beim Messie, sondern dass Museen für gewöhnlich nicht alles sammeln und sich von den Objekten auch wieder trennen können.

 

Der Ausgang aus dem Triebkonflikt der infantilen analen Phase kann vielerlei Wege nehmen: Eine möglichst bewusste Steuerungskontrolle zwischen den Polen Halten/Loslassen, Verbieten/Zulassen, Tolerieren/Ausschließen und so fort. Trotz aller Frühspeisungen in der Kindheit ist anzunehmen, dass das, was als Nicht-Ich wahrgenommen wird, auf Entscheidungen basiert, die einst für uns getroffen wurden und die der Einzelne indes grundsätzlich für sich selbst treffen muss.

 

Doch die infantile Auseinandersetzung mit diesem Thema wirkt weiter fort und setzt sich beispielsweise im Gebrauch von Fäkalschimpfwörtern durch. Ferner stellen Konsumieren und Wegwerfen eine Analogie zum Essen und Defäzieren dar, sofern in beiden Fällen etwas verinnerlicht, umgewandelt und schließlich abgestoßen wird.

 

Darüber hinaus spiegelt die Praxis des Konsumierens und Wegwerfens in komplexen Analogien unsere Einstellung zu Fremden, Anderen, zum Unkonsumierbaren, zum Schmutz, kurzum: zum Nicht-Ich. Strukturell handelt es sich hierbei etwa um die Bildung von Dichotomien wie Reinheit versus Unreinheit, Sauberkeit versus Schmutz, wertvoll versus wertlos, gesund versus krank.

 

Dieser Erkenntnis- und Zuschreibungsprozess scheint in einem frühkindlichen Aktions- und Reaktionsmuster zu wurzeln, das sich vor allem während der analen Phase entwickelt und eng an das Verbots- und Gebotsvokabular der Erwachsenen geknüpft ist. Es gibt zugleich das Referenzsystem für die weitere Entwicklungsgeschichte des Menschen als auch der Gesellschaft ab. Dieser im Grunde semantische Vorgang ist auch von Bedeutung, um Einflussstrategien von Politik und Marketing zu analysieren. MSG

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