Freuds Urentdeckung aus den 1890er Jahren, dass der Mensch von der Sprache gesprochen wird, löst auch innerhalb der Psychoanalyse immer wieder Debatten aus, inwieweit Sprache und Sprechen Einfluss auf das Denken, Träumen und Handeln haben. Wie kommt es, dass die Sprache den Menschen eine Ordnung gibt, ihn ebenso aber auch wie etwa beim Versprecher verwirren, zum Lachen und sogar zum Fallen bringen kann? Und nicht nur am Tage, sondern auch bei Nacht steuert die Sprache unsere Gedanken im Traum. Ungeachtet dessen, dass wir zumeist in Bildern träumen, kann uns ein Traum immer erst in Gestalt einer sprachlichen Mitteilung, eines Gesprächs oder einer schriftlichen Traumnotiz - eben als Text - zur Kenntnis gelangen und zum Gegenstand von Deutungen werden.
Natürlich hatte es vor Freud schon gute Ansätze zu einem Verständnis des Traumphänomens gegeben – Freud exzerpiert sie im ersten Kapitel von Die Traumdeutung (1900). Der Traum war zur Zeit der Aufklärung und danach nicht Gegenstand seriöser wissenschaftlicher Untersuchungen gewesen. Freud stellte klar, dass der Traum nicht verstanden werden will, da er im Unterschied zum Witz kein soziales Ausdrucksmittel sei. Seine Funktion bestehe darin, den Schlaf des Träumers zu hüten, indem er ein Aufwecken als Folge von inneren oder äußeren Reizen zu vermeiden suche. Die inhaltliche Struktur von Träumen stelle dabei in der Regel einen sexuell konnotierten Wunsch als erfüllt dar - die Wunscherfüllungsthese aus Freuds Traumdeutung. Im Alptraum misslinge die Kompromissbildung des Traumes, sofern es der Traumarbeit hier nicht mehr gelinge, den störenden Reiz auf unbedenkliches Material zu verschieben oder anderweitig zu entstellen.
Im Traumbuch analysiert Freud vielfach seine eigenen Träume; seine Auseinandersetzung mit dem Phänomen resultierte jedoch auch aus der Erfahrung mit seinen Patienten, die ihm in den analytischen Stunden ihre Träume erzählten. Der Traum bot sich ihm als Untersuchungsobjekt zumal auch an, weil er zeigt, dass ein Unbewusstes in Sinne gestaltauflösender Primärprozesse auch bei normalen Menschen besteht. Im wesentlichen sind es vier Dinge, die Freud in seinem Traumbuch anders handhabt als die Autoren vor ihm: 1.) Der Träumer deutet seinen Traum selbst - nicht der Traumdeuter. 2.) Der Traum ist nicht prophetisch, er bezieht sich auf die Vergangenheit des Träumers. 3.) Einen Traum deute man nicht als ganzes, sondern en detail. 4.) Zwischen manifestem Trauminhalt und latenten Traumgedanken gelte es zu unterscheiden.
Die Deutung betrifft insofern nur einen - wenngleich sehr zentralen - Aspekt von Freuds umfangreicher Untersuchung des Traumphänomens. In der Tat stellt die Frage, was Träume bedeuten mögen, die bis heute spannendste Frage dar. In den aktuell an der Hirnforschung ausgerichteten Debatten fließt dabei auch häufig die psychoanalytische Position mit ein. Derweil stehen Psychoanalyse und Hirnforschung in einem diametralen Verhältnis zueinander. Versucht die Hirnforschung anhand bildgebender Untersuchungs- und Darstellungsverfahren das Traumgeschehen in den Gehirnarealen zu lokalisieren, stellte die Psychoanalyse Freuds von Beginn an ein Gegenprogramm zur neuronalen Lokalisationstheorie dar. Indem Freud das Feld der Sprache in die Psychiatrie einfügt, reagiert er gerade auf den Mangel an Instrumenten der naturwissenschaftlich arbeitenden Medizin für ein Verständnis psychologischer Phänomene. MSG
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