Die Zukunft der Psychoanalyse hängt davon ab, inwieweit sie ein ähnliches Interesse für gesellschaftliche Fragen entwickeln kann, wie es der ersten Generation der Psychoanalytiker gelang.

(A. Mitscherlich)

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Unbewusste Konflikte in Organisationen

The Conversation. Kommunikation in Organisationen kennt viele Wege.
The Conversation. Kommunikation in Organisationen kennt viele Wege.

Haben Organisationen ein Unbewusstes? Organisationen an sich nicht – sehr wohl aber die Menschen, die in Organisationen vereint sind. Die Psychoanalyse untersucht daher auch, wie unbewusste Dynamiken das Verhalten, Denken und Sprechen von Menschen in Gruppen gestalten und verändern.


In seinen frühen Texten verwendet Freud den Begriff „Organisation“ als Synonym für Psyche, seelische Konstitution oder Bewusstsein. In Studien über Hysterie spricht er von der Menge der Affektspannung, die „eine Organisation“ (1895d, S. 242) vertrage.

Mit der Einführung der 2. Topik (Ich, Es, Überich) setzt Freud den Ausdruck „Organisation“ gelegentlich mit dem „Ich“ gleich. So spricht er in Triebe und Triebschicksale (1915c) von der „narzisstischen Organisation des Ichs“; in Das Unbewusste ist von einem „Fortschritt der psychischen Organisation“ (1915e, S. 292) die Rede. In Das Ich und das Es definiert Freud das Ich wiederum als eine „zusammenhängende Organisation der seelischen Vorgänge in einer Person“ (1923b, S. 243).


Auch Organisationen wie Unternehmen, Verwaltungen, Körperschaften oder Vereine können in ihrer Entwicklung fortschreiten oder stagnieren. In der Regel sind jedoch Veränderungen hin zu Weiterentwicklungen erwünscht. Was Veränderungen in Organisationen grundsätzlich erschwert, sind ihre tradierten Strukturen, die untrennbar mit der Einflusssphäre des Trieb- und  Affektgeschehens und ihrer Schicksalsgeschichten von Individuen verbunden sind. Schließlich gibt es mit Blick auf Unternehmen oder Gesellschaften auch eine Erinnerungskultur, d.h. das mehr oder weniger bewusst durchgeführte Sich-in-Beziehungsetzen zu der eigenen Herkunftsgeschichte.


Bei der seelischen Entwicklung des Einzelnen stellte sich für Freud die Frage, wie sich an der Oberfläche des Es das Ich ausdifferenziert und eine innere Ordnungsinstanz wie die Moral herausbildet. In der Tat gerät das Ich für Freud zunehmend zum Rätsel, ohne dass er dieses als ein Isoliertes, Homogenes oder Automomes ansetzt. Denn Freud zufolge ist sogar ein Teil des Ich unbewusst – zumal ein Teil, den Freud nicht mit dem Vorbewussten gleichsetzt, sondern als ein drittes, nicht verdrängtes Unbewusstes einführt und das „Über-Ich“ nennt. (1923b, S. 244) Hierdurch gelangt auch die "Tradition" in den Charakter. Grundsätzlich ist das Ich auf einen gewissen Grad von Organisiertheit angewiesen, weil das Es keinen „einheitlichen Willen zustande“ (1923b, S. 289) bringt und das Über-Ich eine destruktive Tendenz aufweist.


Es ist interessant, dieses Konzept zur Ich-Organisation an institutionalisierte Organisationsformen und ihre Objekte (Beschäftigte, Mitglieder u.s.w.) anzulegen. So können situative Begegebenheiten in einer Organisation Ängste wecken, auf die mit psychosozialen Abwehrmechanismen reagiert wird. In der Regel verlaufen diese Reaktionsweise nicht bewusst ab, stellen Organisationen doch nur selten Ressourcen für Selbstreflexionsprozesse zur Verfügung. Andererseits wird im Rahmen der Gesundheitsfürsorge in Unternehmen zunehmend Wert darauf gelegt, Beschäftigten in Seminarveranstaltungen, Workshops oder Employee Assistance Programmen (EAP) Möglichkeiten zu eröffnen, Unterstützung bei der Bewältigung schwieriger Lebenslagen zu erhalten.


Häufig lassen sich in Organisationen Wiederholungsmuster beobachten, d.h. das wiederholte Auftreten ähnlicher Probleme oder Konflikte, die den Zweck und die Ziele einer Organisation empfindlich stören können. Strukturprobleme werden von den Betroffenen sehr häufig auf der persönlichen Ebene ausgehandelt. Es kommt zu Reaktionsweisen, wie sie auf individueller Ebene gängig sind, dann auch in Organisationen: Spaltung, Projektion, Verleugnung, Rationalisierung u.a. Mögliche Folgen sind eine Verschleppung der Verantwortungsbereiche, Verzögerung von Entscheidungen oder das Festhalten an unbefriedigenden Kompromissen. Aus psychoanalytischer Sicht bieten sich zur Lösung Gesprächsformate an – mit dem Ziel des Aussprechens, Erinnerns und gemeinsamen Durcharbeitens. Hierdurch gelingt es, die Ängste, Sorgen und Wünsche der Beteiligten aufzunehmen und zu verarbeiten, um zur aufgabenorientierten Arbeit zurückkehren zu können.


Der Vorteil der psychoanalytischen Arbeitsweise ist die Einbeziehung unbewusster Dynamiken in die Betrachtung von Konflikten und Strukturen auch in Organisationen. Insbesondere bei der Berücksichtigung von Widerständen zeigt sich regelmäßig, dass ihr Vorhandensein und ihre Motivation den Beteiligten gerade nicht bewusst sind. Bewusstwerdung führt jedoch nicht zwangsweise zur Überwindung von Widerständen, da diese oftmals mehrere Profiteure haben. Hier bietet sich die Einbeziehung aller Beteiligten an sowie der Einsatz von Arbeitshypothesen, um mit Hilfe der Imaginationskraft zu alternativen Lösungen zu gelangen. Das gemeinsame Zuhören und Sprechen über die Situationen und die begleitenden Gefühle, Gedanken und Erinnerungen ist dabei Ausgangspunkt und Grundmethode auch in der psychoanalytischen Gruppenarbeit.


Ziel sollte sein, gemeinsam alternative Wege zu finden und Veränderungsprozesse anzustoßen. Zwar mögen Organisationen kein Unbewusstes haben, jedoch gibt es ein mehr oder weniger ausgeprägtes Bewusstsein bei den Mitgliedern für ihre Beziehung zu einer Organisation. Hier liegen die Schlüssel für eine nachhaltige Organisationsentwicklung. MSG

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Kommentare: 2
  • #1

    Susanne Skoruppa (Montag, 01 Dezember 2014 18:00)

    Lieber Moritz,

    gerade habe ich Deinen Blog-Eintrag zum Unbewussten in Organisationen gelesen und wollte Dir schreiben, das ich den Text sehr gut finde!

    Ich arbeite ja auch in der weiteren Organisationsentwicklung und möchte sehr gerne einen psychoanalytischen Fokus bilden. Hast Du da eine spezielle Ausbildung gemacht (Tavistock o.ä.), die Du empfehlen kannst?

    Ich hoffe, es geht Dir gut.

    Herzliche Grüße,
    Susanne

  • #2

    Susanne Skoruppa (Montag, 01 Dezember 2014 18:07)

    2 PS:

    1. Ich würde mich sehr über einen Austausch mit Dir darüber freuen, wie Du Organisationen den psychoanalytischen Ansatz Deiner Arbeit "verkaufst". Ich finde die Thematik immer sehr delikat. In den Trainings und Workshops geht es dann immer ganz klar um blinde Flecke und unbewusste Dynamik, aber im Vorhinein möchten Kunden mit solchen Konzepten eher nicht behelligt werden in meiner Erfahrung ... Vielleicht können wir uns dazu austauschen bei einem Tee?

    2. Ich habe eine Email an Deine Blog-Adresse gesendet, die aber mit Fehlermeldung zurückkam.