Die Psychoanalyse Freuds stand von Anfang in einem Spannungsverhältnis zu den gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen sie ausgeübt wurde. Schon zu Freuds Zeiten wurde ihr vorgeworfen, anachronistisch, überholt oder veraltet zu sein.
Auch aus den Reihen der Psychoanalytiker wurden Versuche unternommen, Psychoanalyse entsprechend dem wissenschaftlichen Fortschritt zu modernisieren oder umzuformulieren (etwa Roy Schafer 1976). Zugleich gab und gibt es den Appell, dabei nicht hinter Freuds initiale Einsichten und Entdeckungen zurückzufallen.
Symptom einer gesellschaftlich marginalisierten Psychoanalyse ist die Auffassung, es handele sich bei ihr um eine Psychotherapie, die ausschließlich von Medizinern und Psychologen ausgeübt werde. Freud trat indes dafür ein, dass auch Nicht-Mediziner die Analyse ausüben sollen. (Vgl. Das Werden des Analytikers) Dessen ungeachtet stellt die Therapie von Neurosen Freud zufolge nicht einmal ihre wichtigste Anwendung dar. (Freud 1926b, S. 283) Psychoanalyse ist die Öffnung des Wissens nach allen Richtungen, unter denen die psychotherapeutische Heilkunde nur eine unter vielen möglichen darstellt. Vor allem ist der Stellenwert der Kulturtheorie in der Psychoanalyse zu betonen, da er die Einstellung zu den gesellschaftlichen Verhältnissen und der in ihnen herrschenden Bereitschaft zu Unbewusstheit klärt.
"Je größer die Neigung ist", schreibt Mario Erdheim (1988, S. 129), "die Kulturtheorie (zum Beispiel als bloße Spekulation) auszublenden, desto größer wird die Anpassung der Psychoanalyse an die herrschenden Verhältnisse sein; zudem gilt aber auch: je kulturtheoretischer die Psychoanalyse unter Vermeidung des psychoanalytischen Prozesses wird, desto esoterischer und belangloser werden ihre Ergebnisse werden."
Die folgenden Beiträge gehen der Frage der Aktualität von Psychoanalyse nach. Sie sind Ausdruck des Bestrebens, dass die Psychoanalyse als diskursives Instrument wahrgenommen und aktiv aufgegriffen wird.